Meine Eltern hatten damals einen kleinen Schrebergarten mit einer winzigen Laube, verschiedenen Obstbäumen, Gemüse, Kräutern und Blumen. Während der Sommermonate verbrachten wir viel Zeit in dieser grünen Oase. Mir war diese Kleingartenidylle zu langweilig. Doch die Anlage war groß. So fand ich genügend Zerstreuung auf dem Spartenspielplatz, oder auf den abenteuerlichen Schleichwegen, die kaum ein anderes Kind dort so gut kannte wie ich. Da meine Eltern, vor allem mein Vater, passionierte Frühaufsteher waren, kam es oft vor, dass sie das Unkraut jäteten, noch lange bevor sich andere Leute dazu aufraffen konnten, ihr wohliges Federbett zu verlassen. Mir fiel das frühe Aufstehen damals auch nicht schwer. Unter dem Motto “Morgenstund´ hat Gold im Mund” nutzte ich die Gelegenheit, mein Lieblingsgerät, die Schaukel, ausgiebig in Beschlag zu nehmen. Später, wenn die anderen Kinder kamen, musste ich sie mir erst erobern. So aber konnte ich nach Herzenslust schaukeln, träumen und dabei die Augen schließen, bis ich jede Orientierung verlor und es im Bauch so schön kribbelte. Manchmal bin ich aber auch einfach so durch die Anlage spaziert um Zensuren zu verteilen. Da gab es schöne helle Gärten, die sauber und gepflegt einen freundlichen Eindruck machten. Es gab dunkle, mit vielen Bäumen, die auf mich immer etwas unheimlich wirkten, und es gab die schlampigen Gärten. Da stand oft kniehoch das Unkraut, die ungeharkten Wege sahen aus wie Beton. Und was ein Farbtopf bei Laube und Zaun bewirken konnten, wussten die Besitzer anscheinend auch nicht. Oft beobachtete ich den Reifeprozess der Früchte. Ich ärgerte mich fürchterlich, wenn ich irgendwo reife Erdbeeren unter dem Laub hervorleuchten sah, obwohl die eigenen höchstes eine gelbe Färbung angenommen hatten. Andererseits freute ich mich über unsere besonders schönen, aromatischen Augustäpfel, die sonst kein Spartenmitglied aufweisen konnte. Bei einem meiner Spaziergänge fiel mir ein Baum auf, dessen Äste sich weit von der Last seiner reifen Früchte über den Zaun, mitten auf den Weg beugten. Blau-violett glänzten duftende Renekloden. Meine Mutter kochte jedes Jahr fleißig Hauspflaumen ein, kleine, süße Früchte, bei denen man genau darauf achten musste, nicht eventuell einmal eine Made zu verschlucken. Diese Renekloden jedoch waren riesig, prall und ohne Anzeichen auf ein Würmchen in ihrem Inneren. Ich verspürte bei diesem Anblick einen brennenden Heißhunger. Schlimm war nur, dieser Baum stand nicht in unserem Garten. Weit und breit keine Spur von seinem Besitzer. Wäre er da gewesen, hätte ich ihn mir angesehen. Vielleicht hätte er freundlich ausgeschaut. Mit solchen Leuten lässt sich ja meist ganz gut reden. Man könnte ihm ein paar Komplimente zu seinem Obst machen und dann würde er mir vielleicht eine der begehrten Früchte schenken. Ja, aber wie gesagt, es war niemand da. Von meinen Eltern wusste ich, man darf niemals stehlen. Na, und ins Gefängnis wollte ich schließlich nicht. Die faustgroßen Renekloden grinsten mich frech und verführerisch an, als wollten sie sagen: “Greif schon zu! Wir sind so viele. Da fällt es doch gar nicht auf, wenn einige fehlen. Iss uns!” Ich erhörte sie. Blitzschnell pflückte ich 2 von ihnen und rannte in panischer Angst zu meinem Versteck auf dem Spielplatz, meinem ganz persönlichen Geheimversteck, das nur meine allerbesten Gartenfreunde kannten, die aber um diese Zeit noch nicht hier waren. Noch ganz außer Atem verschlang ich hastig mit dem schlechtesten Gewissen, das man sich vorstellen kann, mein Diebesgut. Dann vergrub ich die Steine und fand nun endlich Zeit festzustellen, dass die Renekloden gar nicht so besonders gut geschmeckt hatten. Der seltsam bittere Beigeschmack wollte lange nicht vergehen.