Beatleszeit! Dass die Pilzköpfe aus Liverpool unanständig lange Haare trugen und irgendwelche Musik machten, drang sogar bis zu mir. In vielen jugendlichen Knaben erwachte nun der Wunsch, die Umsätze der Friseure ein wenig zu reduzieren. Das gelang jedoch nur sehr zögerlich, denn die Eltern der Sprösslinge duldeten solche Kinkerlitzchen nicht. Bedeckten also die Haare bereits das halbe Ohr, hieß es: “Du siehst ja aus wie ein Beatle!” Der rebellische Range bekam 1,50 MDM in die Hand gedrückt, dazu einen herzhaften Klaps, und dann musste er sich wohl oder übel seiner stolzen Haarpracht entledigen lassen. Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis Eltern sich voll innerer Überzeugung zu folgendem Satz durchrangen: “Lang dürfen die Haare sein, aber gepflegt müssen sie aussehen.” In dem alten Mietshaus, in dem wir damals wohnten, gab es auch viele Kinder. Cornelia, von allen Conny genannt, war meine beste Freundin. Sie wuchs bei einem älteren Ehepaar auf, das sich wie eigene Eltern um das Mädchen bemühten. Die eigentlich fremden Leute sprach sie mit “Mutti” und “Vati” an. Dass es ein ungewolltes Kind war, welches sozusagen der Esel im Galopp verloren hatte, als die leibliche Mutter während ihrer stürmischen Jugend auf Abwege geriet, sollte das Mädchen nicht wissen. So wurde es von den alten Leuten erzogen, die ihm die nötige Zuneigung aber auch Strenge gaben. Zwischen überschwänglichen Streicheleinheiten und manchmal schon lächerlich wirkenden Verhätschelungen setzte es ab und zu auch mal eine schallende Ohrfeige. Das passierte immer dann, wenn die temperamentvolle alte Dame bei dem etwas skurrilen Kind am Ende ihrer pädagogischen Weisheiten angelangt war. Conny hatte sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt. Schließlich wusste sie genau, dass sie abgöttisch geliebt wurde, eine Liebe, die ihr die leibliche Mutter niemals entgegenbringen könnte. v.l.n.r. Ilona, Conny und Ines Ilona, mein Puppenwagen und Ines Conny steckte mich ständig mit ihren verrückten Ideen an. Beispielsweise stand sie einmal mit toupierten Haaren vor unserer Tür. Sie war 5 und ihre Frisur glich einem ausgefransten Mopp. Unter ihrem engen Pullover hatte sie 2 Paar dicke, zusammengerollte Socken gestopft, und nun erwartete sie, dass vor allem meine Mutter die “frauliche” Erscheinung gebührend lobte. Das tat sie natürlich auch in aller Ernsthaftigkeit, und ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als mir ebenfalls Socken unter den Pullover zu schieben. Oh Gott, was waren wir schön! Wir führten “intelligente, erwachsene” Gespräche von ungeheurer Wichtigkeit und bewegten uns hüftschwingend durch die Wohnung. Die Welt gehörte uns, den schönsten und vollkommensten Frauen der Maybachstraße 1. Jedoch zurück zur Pilzkopfrevolution. Unmittelbar neben unserem Haus befand sich ein kleiner Spielplatz mit einer Parkanlage. Beides musste jedoch Mitte der sechziger Jahre einem betonierten Busbahnhof weichen. Wir bedauerten das sehr, konnten aber nichts dagegen tun. Bevor das Areal endgültig seiner neuen Nutzung übergeben wurde, bot es trotzdem noch Spielraum für uns Kinder. Lediglich ein einziges Wartehäuschen zierte die Fläche. Conny und ich konnten Fangen spielen oder mit unseren Rollern umherjagen (heute undenkbar). August 1963, mein hellblauer Roller und ich waren fast unzertrennlich.