Eine meiner typischen Charakterschwächen ist es, Leuten, die ich nicht leiden kann,
dies auch unmissverständlich zu zeigen, ohne daran zu denken, mich oftmals selbst
damit zu bestrafen. Wie oft versuchte ich, mir meine Ablehnung, für die es meist
keine eindeutige Erklärung gab, nicht anmerken zu lassen. Das will mir bis heute
nicht immer so recht gelingen.
Mit 5 Jahren wurde ich schwerhörig. Eigentlich störte mich das gar nicht. Nur die
starken Schmerzen machten mir arg zu schaffen. Eine Zeitlang ging meine Mutter mit
mir jeden 2. Tag zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Das war ein stattlicher, nicht
unansehnlicher, überaus freundlicher Mann, der sich wirklich sehr um mein Wohl
bemühte. Von allen Seiten wurde er als ausgezeichneter Arzt gelobt. Er war sehr
feinfühlig und seine kleine, gequälte Patientin mit den großen, dunklen Kulleraugen
schien ihm besonders ans Herz gewachsen zu sein. Eigentlich ein Arzt, wie man ihn
sich nur wünschen kann, aber ... ich konnte ihn nicht leiden! Warum? Diese Frage
kann ich nicht beantworten. Ich mochte ihn einfach nicht. Vor jedem Arztbesuch
redete mir meine Mutter ins Gewissen. Dann nahm ich mir jedes Mal ganz fest vor,
ihn heute bestimmt nett zu finden. Aber kaum stand ich vor ihm, überkam mich
wieder die große Abneigung. Ich hasste diesen Mann mit dem runden Spiegel auf der
Stirn.
In bestimmten Abständen setzte er eine Art Blasebalg an meine Ohren. Ich musste dann “Kuckuck” sagen.
Es gab ein schmerzhaftes Knacken und für kurze Zeit war mein normales Hörvermögen wieder hergestellt.
Damit tat er mir aber absolut keinen Gefallen. Abgesehen von den Schmerzen erschien mir der Lärm, der
mich nun umgab, äußerst unangenehm. Klang die Wirkung dieser Behandlung allmählich ab, fühlte ich
mich wieder wohl, aber das verstand anscheinend niemand.
Dafür, dass mir dieser “böse” Mann so
viele Unannehmlichkeiten bereitete,
musste ich mich irgendwie rächen. Bei einem der
nächsten Arztbesuche befolgte ich seine Aufforderung, den
Mund zu öffnen nicht und hielt mir krampfhaft die Ohren
zu. Da half kein Zureden. Unverrichteter Dinge verließ
meine Mutter mit mir die Praxis. Warum war dieser Mann
nur so schrecklich freundlich? Warum schimpfte er mich
nicht
aus? Das tat dafür meine Mutter, was mir gar nicht gefiel.
Es wurde schließlich darüber diskutiert, mich 1965 in eine
Gehörlosenschule einzuweisen. Glücklicherweise kam es nicht dazu.
Nach einjähriger erfolgloser Behandlung wurde ich operiert. Seitdem
funktioniert mein Gehör einwandfrei, die Schmerzen sind vergessen
und eine HNO-Praxis mit einem unsympathischen Doktor musste ich
auch nie wieder aufsuchen.
Diese Fotos entstanden am 12.2.1962.
Zum Fasching wurde aus Ilona ein
Rotkäppchen. Die ersten Milchzähne
hatten sich verflüchtigt, aber noch
ging es mir gut und mein
Hörvermögen war intakt.