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In List, dem nördlichsten Ort der Insel,
legten wir eine 45minütige Pause ein.
Wir besichtigten nicht etwa den Ort. Der
Bus fuhr uns zum Hafen, einem großen
Platz, auf dem Busse hervorragend ent-
und beladen werden können. Der
Tourist hat nun die Möglichkeit, die
Toiletten aufzusuchen, in riesigen
Markthallen von der Postkarte über den Friesennerz bis
zu edlem Goldschmuck alles zu kaufen, sich in verschiedenen
Lokalen durch zu futtern und überall den Namen „Gosch“ zu
lesen. Vom Tellerwäscher zum Millionär – so ähnlich verlief die
Karriere des Jürgen Gosch. Ich erwähnte bereits Tönning. Von dort
kam er nach Sylt und bot seinen Aal an. Inzwischen hat er Filialen
in ganz Deutschland. Er bietet Qualität, die jedoch auch ihren Preis
hat. Auf Sylt stolpert man ständig über ein Lokal oder einen Stand
mit dem Namen „Gosch“. Und so gönnten auch wir uns ein
Backfischbrötchen zu 4,-€.
Nach etwa 2 Stunden kamen wir wieder in Westerland an. In
unseren Köpfen sprudelten die Eindrücke. Sylt ist schon sehr, sehr
schön. Und doch war ich hin und her gerissen. So sauber, gepflegt und ordentlich es z.B. in Kampen ausgesehen hat; ist es
wirklich erstrebenswert dort zu wohnen? Auf dem 1. Blick – ja! Ich war begeistert.
Was aber soll ich mit einem Louis Vuitton – Laden in einem so herrlichen
Reetdachhaus? Cartier ist ähnlich angelegt. In den meisten Dörfern auf dem Festland
ist inzwischen der ganz normale Tante-Emma-Laden pleite, obwohl er für viele Leute
die einzige Versorgungsmöglichkeit in der Nähe war. Und hier halten sich die
Edeldesigner? Diese ganze Schickimicki-Gesellschaft ginge mir schnell auf den
Keks. Ich wäre viel zu bodenständig. Und würden mir diese wahnsinnig schönen
Gebäude, die ja eigentlich gar nicht so alt sind, tatsächlich dauerhaft gefallen?
Der Busfahrer erklärte uns, Keitum, sei mit Abstand der schönste Ort auf Sylt. Hier
gibt es noch einige alte Kapitänshäuser und der Ort ist so schützenswert, dass Busse
dort gar nicht durchfahren dürfen. Wir beschlossen, uns dieses Dorf auch noch
anzusehen. Während der Busfahrt gab es einen kurzen Halt an der Keitumer Kirche,
die wie in vielen nordfriesischen Dörfern außerhalb liegt. Jetzt fuhren wir mit der
Inselbahn eine Station und konnten fasziniert feststellen, der Busfahrer hatte nicht
übertrieben. Alle Häuser sind reetgedeckt, aber längst nicht alle sind rot verklinkert. Die älteren Gebäude sind weiß gekalkt.
Auch hier ist alles hervorragend gepflegt, aber kein Haus sieht aus wie das andere. Hinzu kam das fantastische Wetter, wodurch
alles nochmal so schön aussah. Vielleicht kann man diesen Ort mit Nieblum auf Föhr vergleichen, wo die Kirche übrigens
ebenfalls außerhalb des Ortes liegt. Auch hier wirkt vieles sehr urig. Das ist Nordfriesland, wie man es sich vorstellt; ein Dorf
voller Postkartenmotive. Hier werden alle Klischees erfüllt und doch ist es nicht kitschig.
Mein Resümee: Sylt ist schön. Interessant ist die Vielfalt. Jedes Dorf hat einen anderen Charakter. Die Landschaft ist einzigartig.
Schlimm, dass so viel Geld in den Erhalt dieser Insel fließen muss, aber würde man alles der Natur überlassen, gäbe es bald kein
Sylt mehr. Und das wäre ein ganz herber Verlust. ABER es gibt noch mehr nordfriesische Inseln, die es genauso nötig haben, die
es genauso wert sind, erhalten zu bleiben. Wenn ich nun die Inseln als Ganzes miteinander vergleiche, dann hebt sich Sylt doch
deutlich von den anderen ab. Sylt ist mondän. Sylt hat viel Künstliches und wenig Originales, Urtümliches, Echtes. Wären die
Inseln Pflanzen, würde ich Sylt für genmanipuliert halten. Der Apfel aus unserem Garten sieht nicht ganz so schön aus wie die
Früchte im Supermarkt, ist dafür aber viel schmackhafter und aromatischer. Sylt ist schick, alles ist prächtig, sauber, aufgeräumt
und sehr edel. Irgendwie wirkt das synthetisch. Föhr und Amrum dagegen wirken authentisch. Dürfte ich mir einen Ort
aussuchen, wo ich meinen Lebensabend verbringen möchte, wäre das mit großer Wahrscheinlichkeit Nieblum auf Föhr, aber
wohl kaum ein Ort auf der Insel Sylt.