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Intensivstation
Piepsen, pfeifen, gluckern, summen, geschäftiges Treiben… ich lag in einem
hohen Bett und war mit diversen Geräten verbunden. Intensivstation. So
schlimm? Schließlich wurde noch ein Katheter angelegt, was mir einen
Vorgeschmack auf die bevorstehende Zeit ohne Intimsphäre gab. Sechs
Schwestern beugten sich interessiert über meine gespreizten Beine und ich
versuchte verzweifelt, aber natürlich erfolglos noch tiefer in das Bett zu
versinken. Irgendwann ließ man von mir ab. Bei schummriger Beleuchtung
kehrte etwas mehr Ruhe ein. Es sollte wohl Schlafenszeit sein. Ich war völlig
erschöpft und hätte so gern geschlafen. Schwierig, denn ich lag auf dem Rücken und ständig ging der Mund auf,
was ihn schnell austrocknen ließ. Dem nicht genug. Das Schlimmste waren die lauten Fanfarengeräusche in
kurzen Abständen. Ich stellte fest, im selben Raum hinter einem Paravent lag ein Mann, der an einem Gerät
angeschlossen war, das ständig laute Signalgeräusche sendete, die an eine Fanfare erinnerten. Und ich war doch
sooo müde. Von Zeit zu Zeit schwebte eine stille Gestalt durch den Raum, die sich an meinen Geräten zu
schaffen machte. Da wurden Werte von den Computeranzeigen abgeschrieben und Infusionsflaschen gewechselt.
Was bist denn du? Geschmeidige Bewegungen, nackenlange dunkle Haare, rund geschnitten, kurzer Pony und
sauber abrasierte Koteletten. Das Gesicht blieb hinter einer Maske verborgen. Später sollte ich erfahren, es
handelte sich bei dieser androgynen Erscheinung um einen jungen Mann, mit dem ich jedoch kaum noch zu tun
bekam.
In diesen Tagen schien sich eine Art Schleier über mich gelegt zu haben. Entweder deckte er meine
Wahrnehmungen zu, oder er riss auf und ich nahm Einzelheiten ganz besonders intensiv wahr. Mein Verstand war
klar, doch der Schleier entschied über Bedeutung und Wichtigkeit. Im Nachhinein erinnere ich mich an die
meisten Details und Eindrücke in genau dieser Zeit.
Schnell erkannte ich die unterschiedlichen Charaktere des Personals. Da waren die Freundlichen und
Fürsorglichen, die scheinbar Freundlichen, die Lustlosen, die Engagierten, die Mitfühlenden und die, die einfach
ihren Job machten, aber keinen Handschlag mehr, als in ihrem Vertrag stand. So gab es auf der Intensivstation
einen Pfleger, der sich stets gleichermaßen einsatzbereit zeigte und ein angenehmes Klima vermittelte. Eine
Schwester dagegen konnte mich nicht leiden, was sie mich deutlich spüren ließ. Die massive Zufuhr von
Antibiotika zeigte schnell Wirkung und buchstäblich über Nacht schränkte sie meine Beweglichkeit stark ein.
Hinzu kam ein Schmerz von der linken Schulter abwärts, der vermutlich auf einen Sturz in der Wohnung
zurückführte. Und dann noch die Schwäche durch das anhaltende Fieber. Jedenfalls drehte ich mich nicht schnell
genug zur Seite, so dass mir diese Schwester einen kräftigen Stoß gab. „Frau!“ fauchte sie und ich knallte mit
voller Wucht den Kopf gegen das hochgezogene Seitengitter. Unsere gegenseitige Abneigung blieb
unausgesprochen, war jedoch deutlich spürbar.
Wer mein „Stadtkind“ gelesen hat, weiß um meine Einstellung. Es gibt Menschen, die ich leiden kann und
welche, die ich nicht leiden kann. Das merken die dann auch. Jetzt hatte ich mir ganz fest vorgenommen, jedem
gleichermaßen freundlich zu begegnen, geduldig alles mit mir geschehen zu lassen, nie zu murren; Hauptsache
ich werde schnell gesund. Und tatsächlich behielt ich das zu meinem eigenen Erstaunen vom ersten bis zum
letzten Tag so bei. Umgekehrt wurde mein Bemühen um ein gutes Miteinander leider nicht immer erwidert und
das Verhalten einiger Leute machte mich so ärgerlich und vor allem unglücklich, dass ich heimlich in mich
hinein weinte. Gerade in dieser Zeit war ich doch ziemlich dünnhäutig. Umso erfreulicher war es dann, wenn ich
einer Schwester begegnete, die für eine angenehme Atmosphäre sorgte.
Dr. Stephanie Barnett hieß Leonard Hofstadters Freundin in 3 Folgen der „Big Bang Theorie“. Ich bin ein großer
Fan der liebenswerten Nerds. Und jetzt tauchte vor mir die etwas dickere Schwester von Stefanie auf. Die
Ähnlichkeit war verblüffend. Also beschloss ich sofort sie leiden zu können. Mein Urteil auf die Ähnlichkeit mit
einer Schauspielerin zu stützen, war wohl etwas voreilig.
Nachdem die Patienten alle mit Abendessen versorgt waren, zog sich auch das Personal in einen Raum zur
Abendpause zurück. Mich hatte man an der Bettkante platziert, die Kabel und Schläuche fein säuberlich drapiert.
Da saß ich nun und blickte um mich. Bunte Linien und Kurven zeigten bestimmte Werte auf dem Monitor an.
Direkt vor mir stand der Paravent mit einem Fantasiemuster. Diese Einrichtung muss wohl noch recht neu
gewesen sein. Je länger ich auf das Muster schaute, desto deutlicher erkannte ich das Gesicht eines großen
Insekts aus einem Zeichentrickfilm. Es sah sehr streng und mürrisch aus. Aus der Nachbarschaft hörte ich immer
wieder lautes Lachen. Das waren die Schwestern und Pfleger, deren Pause heute scheinbar besonders lange
dauerte. Mir wurde langsam kalt. Ich hätte mir gewünscht mich wieder hinlegen und zudecken zu können. Doch
diese Schläuche und Kabel…. Ein Blick zum Monitor zeigte an: die Temperatur stieg. 38,6°C. Neben dem Insekt
tauchte ein winziges menschliches Gesicht auf. Lautes Gelächter von nebenan. 38,8°C. Der Fußboden war mit
geflecktem Linoleum (oder ähnlichem Material) ausgelegt. Und auch da entdeckte ich Figuren. Z.B. war da der
alte Mann mit Rauschebart und Schlapphut. Direkt daneben zeichnete sich ein niedliches Hündchen ab. Oder war
es doch eine Katze? 39,0°C. Mir war so kalt. Da nützte es auch nicht viel, dass ich die Decke heranzog. Ein
Kindergesicht, ein kleiner Lockenkopf lächelte mich an. 39,2°C. Was ich da sah; lag es am Fieber, oder drehte
ich langsam durch? Eigentlich müsste es doch einen Notschalter geben. Wo aber war der? Bei 39,5°C endlich
laute Stimmen und sich nähernde Schritte. Die Pause war vorbei.