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112 als nichts mehr ging „Schlaf dich gesund!“ hatte früher meine Mutter oft zu mir gesagt, wenn ich mich unwohl fühlte, vielleicht Fieber hatte. Und eigentlich hat das auch immer geholfen. Nach den Mittelchen aus der Apotheke wirkte ein erholsamer Schlaf erfrischend und belebend. Nicht so am Jahresanfang 2016. Meine Schwiegermutter war gerade gestorben. Im Keller, direkt unter unserer Wohnung, wüteten lautstark Bohrmaschinen, weil jemand auf die glorreiche Idee gekommen war, die Decke zu isolieren. Viele Gedanken schwirrten durch den Kopf und ich konnte dem nicht entrinnen. Zu schwach, denn ich suchte vergeblich nach Ruhe und Wärme. Seit etwa 2 Wochen kämpfte ich mit Fieberschüben und Schüttelfrost. Die Heizung lief auf vollen Touren. Zwischen Ibuprofen, Decken, Tees und Fieberthermometer schöpfte ich stets neue Hoffnung, wenn ich Appetit verspürte und das Thermometer unter 37°C anzeigte. Leider hielt das nicht an. Klaus wusch fast täglich Bettwäsche, weil ich regelmäßig schweißnass erwachte. Auch sonst kümmerte er sich liebevoll um mich. Dabei wollte ich gern für ihn da sein. Er trauerte um seine Mutter. Und dann musste in dem Zusammenhang noch so viel Bürokratismus bewältigt werden. Mich hatte es jedoch entschärft. Sorgen über Sorgen! Am Abend des 5.2. beschlossen wir, für den Fall, dass ich in ein Krankenhaus muss, alles vorzubereiten. Es wurde eine Tasche gepackt und ich entfernte all meinen Schmuck, den ich sonst ständig trug. Diese Maßnahme sollte sich noch als sehr nützlich erweisen. Samstag, der 6.2. begann wieder mit Fieber. Da beschloss Klaus einen Notarzt zu rufen. Es wurde unruhig. Plötzlich tummelten sich fremde Leute in meinem Schlafzimmer. Es roch nach Zigarettenqualm. Ich lag mehr schlafend als wach in meinem Bett und blickte zur Seite, wo ich zwei rot behoste Sauerkrautstampfer in dunklen Schnürboots wahrnahm. Von weiter oben hörte ich eine Frauenstimme mit polnischem Akzent, die unfreundlich, vorwurfsvoll auf mich einredete. „Warum sind Sie nicht zum Arzt gegangen? Sie müssen doch zum Arzt gehen. Ihr Mann könnte wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden. ….“ Vorsichtig blickte ich hinauf und sah eine auffällige, große Brille mit ein wenig Gesicht von dunklen Haaren umrandet. Puck die Stubenfliege. Tatsächlich konnte ich keine Gesichtszüge erkennen. Die Frau redete und redete … Ich wollte doch nur meine Ruhe und dass man mich irgendwo hinbringt, wo mir geholfen wird. „Unterlassene Hilfeleistung“, was denkt sich die dumme Kuh? Wenn mir jemand geholfen hat, dann war es mein Mann. Und jetzt, ja jetzt in diesem Moment ging es mir so schlecht, dass ich diese Frau in ihren albernen roten Hosen am liebsten achtkantig rausgeschmissen hätte. Einzig meine körperliche Verfassung hinderte mich daran. Also ließ ich sie reden und hoffte darauf, sie möge mal fertig werden und mich endlich irgendwo hinbringen, wo man mir hilft. Die beiden Rettungswagenfahrer, die zwar stark nach Zigarette rochen, erwiesen sich jedoch als sehr freundlich und hilfsbereit. Sie brachten mich ins Universitäts-Klinikum Kröllwitz.
Ankunft im Universitätsklinikum Kröllwitz – als 1980 meine Tochter Yvonne hier geboren wurde, war das Hochhaus eins der modernsten Krankenhäuser der DDR. Inzwischen ist das UKH zu einer Krankenhausstadt mutiert, riesengroß und regelrecht ein Labyrinth. Zuletzt war ich vor nicht einmal 3 Wochen hier, um meine Schwiegermutter an ihrem Sterbebett zu besuchen. Und jetzt… Bis zum Abend verblieb ich in der Notaufnahme. Ich wurde untersucht. Danach setzte man mir eine Sauerstoffmaske auf und ich hörte, wie das Personal über mich sprach. Dabei fiel der Begriff „Lungenentzündung“. Mit mir sprach niemand. Ein Paravent trennte mich von anderen Notfällen, die kamen und gingen. „Ich habe Erdnüsse gegessen und jetzt ist mein Gesicht angeschwollen…“ Obwohl ich nicht sah, was da vor sich ging, hörte ich deutlich, wie die Frau behandelt wurde und ihre Geschichte jedem Hinzugekommenen etwas dramatischer schilderte, obwohl die Schwellung inzwischen zurückging. Ich amüsierte mich, wie wohl auch die anwesenden Ärzte und Schwestern und fühlte mich etwas besser als am Morgen. Wann aber gab es endlich ein freies Bett für mich?